Ich muss jeden Morgen zwanzig Minuten Bus fahren um zur Schule zu kommen. Dieselben zwanzig Minuten dann am Nachmittag oder Abend wieder zurück. Jeden Tag. Ich bin dem Busfahren gegenüber nicht abgeneigt. Ich bin dann die Person, die sich mit dem Notizblock ihren Sitz verkriecht um nur ab und zu über den Rand den anderen Passagieren musternde Blicke zuzuwerfen. Ich bin nicht die Einzige, die pendelt. Über die Wochen lernt man die Leute erstaunlich gut kennen. Oder zumindest den Teil ihres Lebens, den sie jeden Tag im Bus verbringen. Und das ist erstaunlich viel.
Beginnen wir mit Markus – der ist gerade so schön in meinem Blickfeld. Markus ist so um die dreissig und arbeitet in einem Büro. Oder in der Bank. Auf jeden Fall an einem Ort, der sich für wichtig genug hält, seine Angestellten Anzug tragen zu lassen. Die Farbe seiner Kravatte sagt alles über seinen aktuellen Gemütszustand aus. Sie ist meist dunkel und schlicht. Nur manchmal schleicht sich ein Muster hinein, aber auch nur ganz leise und heimlich. Markus führt ein stilles Leben in einer kleinen Wohnung, die er mietet. Mit Hund. Mehr braucht er nicht. Jeden Morgen hat er seinen Becher Kaffee, den er genau in der Zeit die er im Bus verbringt leertrinkt.
Im Bus steht er lieber. Hört Musik. Mit der einen Hand hält er sich fest, die andere führt in regelmässigen Abständen das langsam abkühlende Getränk zum Mund.
Markus ist alles was man als normal bezeichnen kann. Durchschnittlich gross, dunkle Haare, nicht besonders lang. Besitzer eines iPhone der letzten Generation mit kleinem Riss im Display der nicht sonderlich stört jedoch von der Unvorsichtigkeit des Benutzers zeugt. Reparieren ist zu teuer und beinhaltet zu viel Aufwand. Er hat Freunde, die auch ab und zu auch Bus fahren mit ihm.
Ein nettes kleines Leben. So richtig schön. Nur glücklich ist er damit nicht. Er will eigentlich ganz was anderes. Was genau weiss er noch nicht wirklich. Er weiss nur, dass der tägliche Hundespaziergang nicht genug ist und dass ihn diese eine alte Frau nervt, die immer eine Haltestelle nach ihm einsteigt und ihn auf ihrem Weg zum Sitz am Fenster gegenüber der Türe jedes Mal anrempelt.
Heute Morgen schaut er ihr besonders böse hinterher. Und er fasst einen Entschluss. Den selben Entschluss wie den er schon unzählige Tage zu vor geschlossen hat. Das nächste Mal. Das nächste Mal wird er ihr nicht entschuldigend Platz machen. Er wird ihr seine Meinung sagen. Ja, das wird er. Bestimmt.
Er steigt zwei Haltestellen vor mir aus. Der Becher wird zerdrückt und neben der Wartebank in den überfüllten Abfalleimer geworden. Markus verschwindet um die Ecke, der Bus fährt weiter.
Morgen wird er wieder kommen mit einem neuen Kaffee, der Markus. Ich weiss nicht mal ob er Markus heisst.
Krishna